Vier Erfolgsgeschichten: Im Rahmen der Freiwilligen Handwerkszeit entscheiden sich vier junge Erwachsene für das Handwerk und beginnen eine Ausbildung.
Im Mai 2022 startete die erste „Freiwillige Handwerkszeit im Westerwaldkreis“, die im Rahmen der Kampagne „Hände hoch fürs Handwerk“ gemeinsam von der Handwerkskammer Koblenz (HwK) und der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Westerwaldkreis (wfg) ins Leben gerufen und mit Unterstützung der Kreishandwerkerschaft Rhein-Westerwald durchgeführt wurde.
Sieben Jugendliche haben ein Praktikum in einem handwerklichen Beruf aufgenommen und in den Betrieben einen Einblick in den Arbeitsalltag bekommen. Zwei der Teilnehmenden haben festgestellt, dass das Handwerk nicht zu ihnen passt. Bei einer Kandidatin war es nur der Beruf, weshalb hier der Betrieb gewechselt wurde. Die übrigen vier haben zum 01.08. in ihren Praktikumsbetrieben die Ausbildung begonnen. „Das ist ein toller Erfolg für das Projekt und es zeigt, wie wichtig es ist, die Berufe wirklich auszuprobieren“, sind sich Bernd Hammes, Geschäftsführer im Geschäftsbereich Berufsbildung der HwK, und Katharina Schlag, Geschäftsführerin der wfg, einig. Über eine mögliche Fortsetzung wollen die beiden noch sprechen.
Katharina Schlag und Ralf Lütje, Ausbildungsberater der HwK, haben sich vor Ort ein Bild gemacht und die vier frischgebackenen Azubis in ihren Betrieben besucht.
„…und dann kam Emily“
Los ging es in Nistertal bei der RAUCHER Building Automation GmbH. Hier hat Emily mit der Ausbildung zur Elektronikerin – Fachrichtung Automatisierungs- und Systemtechnik begonnen. Bereits in der Vorbereitungszeit in Koblenz zeigte die junge Frau, die sich auch eine Tätigkeit mit Holz oder Metall hätte vorstellen können, Talent und eine schnelle Auffassungsgabe. Eine wichtige Voraussetzung, weiß Geschäftsführer Christoph Raucher. „Unser Aufgabenbereich ist vielseitig und anspruchsvoll. Für Inbetriebnahmen auf der Baustelle braucht man teilweise schon starke Nerven, wenn Zeitdruck aufkommt, andere Gewerke warten und Abnahmetermine fixiert sind.“ Emily scheint das nicht zu erschrecken. Sie freue sich schon jetzt, mit den ersten Verkabelungen beginnen zu können und interessiert sich insbesondere für das Programmieren der Anlagen. „Dafür ist es aber erstmal wichtig die Grundlagen zu lernen und zu verstehen, da ich dem System sonst nicht erklären kann, was genau es tun soll“, meint sie. Raucher erklärt, dass das Thema IT-Sicherheit und Digitalisierung eine immer größere Rolle spiele, da z. B. ein Fernwartungszugriff auf die Anlagen kein leichter Systemzugang werden dürfe. Mit seiner neuen Auszubildenden ist er bisher sehr zufrieden und meint: „Wir haben nicht aktiv gesucht und dann kam Emily. Es hat einfach gepasst.“
„Niklas ist ein echter Glücksgriff“
Schräg gegenüber ist Niklas bei den Mühlenbäckern im Einsatz. Ein fröhlich motiviertes Gesicht, dass gut gelaunt hinter der Theke wirbelt. Diesen ersten Eindruck bestätigt auch die Filialleiterin Frau Lichtenthäler: „Niklas ist sehr motiviert und ordentlich, er entwickelt sich prima und ist ein echter Glücksgriff für uns.“ Verena Moser, Geschäftsführerin der Mühlenbäckerei Rudolf Jung GmbH & Co. KG aus Westerburg, berichtet, dass die Branche gerade im Umbruch und man mehr denn je auf gutes Personal angewiesen sei. Ihr Wunsch, den Azubis möglichst breite Einblicke in die unterschiedlichen Filialgrößen zu ermöglichen, scheitere oft an der fehlenden Mobilität. „Auch das hat sich verändert. Während frühere Generationen noch darauf aus waren, den Führerschein zum 18. Geburtstag in den Händen zu halten, stellen wir heute ein geringeres Interesse fest, was auch an den gestiegenen Kosten für eine Fahrerlaubnis liegen könnte“, sagt sie. Die Damen der Mühlenbäckerei, die viele Anstrengungen unternehmen, um ihre Ausbildungsberufe zu bewerben und Menschen dafür zu begeistern, begrüßen das Angebot der Handwerkszeit. Niklas meint dazu, dass die finanzielle Unterstützung ihm auf dem Weg zu mehr Selbstständigkeit sehr geholfen habe. Auf die Frage nach dem frühen Aufstehen erklärt er, dass er den ruhigen Arbeitsweg, wenn ansonsten noch niemand unterwegs ist, sehr genieße. Die Wahl des Berufes erklärt er damit, dass er das Sortiment der Mühlenbäcker schon lange kennt und sich freut, jetzt auf der anderen Seite der Theke zu stehen. Ob etwas anders ist, jetzt wo er nicht mehr Praktikant, sondern Azubi ist, beantwortet Frau Lichtenthäler mit: „Wir sind jetzt strenger!“ Niklas lacht und lässt es ansonsten unkommentiert…
„Paul: Zukünftiger Spezialist für Tore und Sonderlösungen“
Seit fast 40 Jahren werden bei der AKM-Tore GmbH in Langenhahn individuelle Torlösungen entwickelt, gefertigt und beim Kunden montiert. Mit heute über 90 Beschäftigten ist der Familienbetrieb ein bekannter Spezialist in der Branche. Zum 01. August startete Paul nach dem Handwerkzeit-Praktikum mit einer sogenannten Einstiegsqualifizierung (EQ). Hierbei handelt es sich um eine geförderte Maßnahme, wobei die Dauer der EQ auf die Ausbildungszeit angerechnet werden kann und somit auch die Inhalte zur Ausbildung identisch sind. Ab September hat der Betrieb somit zwei Auszubildende im 1. Lehrjahr.
Dass er bereits einiges gelernt hat, zeigt er, als er in der Schlosserei seine aktuelle Arbeit erklärt. „Hier prüfe ich, ob die Teile in die Schienen passen. Diese werden später an der Innenseite der Tore angeschraubt und dienen der Abdichtung.“ Auch Geschäftsführer Jens Ulrich Schmidt ist zufrieden mit Paul. „Unser Ziel ist es, in einem kollegialen Umfeld zu arbeiten und unseren Mitarbeitern interessante Perspektiven und Aufstiegsmöglichkeiten zu bieten. Für uns sind Auszubildende keine billigen Arbeitskräfte, uns ist an einer qualifizierten Ausbildung gelegen, damit wir leistungsstarken Nachwuchs für die Zukunft haben“, erklärt Schmidt. An dem Projekt Handwerkszeit gefalle ihm, dass man mehr Zeit habe, um die jungen Menschen kennenzulernen. Da seien zwei Wochen manchmal einfach nicht ausreichend – für beide Seiten.
Für Lucas geht’s hoch hinaus
Last but not least stand eine Baustelle in Pottum auf der Agenda, wo die Thomas Jung Bedachungen GmbH aus Stockum-Püschen im Einsatz ist. Timm Jung, der als Dachdeckmeister die 2. Generation im Familienbetrieb ist, und Handwerkszeitler Lucas haben hier einen Arbeitsplatz mit tollem Ausblick. Allerdings meinen die beiden, man nehme das während der Arbeit meist gar nicht wahr.
Lucas hatte sich vor der Handwerkszeit schon einmal im Bereich Elektronik versucht und festgestellt, dass dies nicht das Richtige für ihn ist. Mit dem Praktikum wurde dann schnell klar, dass das beim Dachdeckerberuf ganz anders ist. Auch Timm Jung ist zufrieden und erklärt, dass man Lucas‘ erste Erfahrungen im Handwerk schon merke. „Nachdem wir acht Jahre lang keinen Azubi hatten, haben wir aktuell wieder zwei, beide sehr motiviert“, freut sich der Junior-Chef. „Da wir uns nicht auf einen Bereich spezialisiert haben, sondern von Pfannen-, über Alu- bis hin zu Schieferdächern vieles anbieten und selbst machen, lernen die Jungs bei uns eine breite Palette kennen“, ergänzt er. Das sei einerseits ein Vorteil, bedeute aber auch, dass es länger dauere, bis man in allen Produktbereichen eine gewisse Routine bekomme. Durch das Praktikum hat Lucas schon einen kleinen Vorsprung und sagt: „Mit dem Hochklettern hatte ich von Anfang an keine Probleme, aber jetzt kann ich die Kollegen auch schon auf dem Dach unterstützen und das macht richtig viel Spaß.“